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STO LAT

Vor wenigen Tagen gab es für mich wieder mal das traditionelle polnische Geburtstagsständchen „Sto lat, sto lat, niech żyje, żyje nam…“ Die Übersetzung bedeutet: „Hundert Jahre, hundert Jahre soll er leben…“. Eigentlich eine wunderbare Perspektive, aber will ich wirklich so alt werden? Oder noch wichtiger: Muss ich Angst vorm Altwerden haben?
Dem Geburtstagslied nach hätte ich noch über 40 Jahre meines Lebens vor mir. Ernüchternder lesen sich die Zahlen der offiziellen Statistik: Laut fernerer Lebenserwartung habe ich, als 57-jähriger Mann, noch weitere 25 Jahre zu leben. Wenn man bedenkt, dass diese Zahl vor 50 Jahren in Deutschland nur bei 18 lag, zeigt das doch, wir werden immer älter. Man muss also dieses Altwerden neu denken. Wir können nur ahnen, wie die Welt in 40 Jahren aussehen wird. Was müssen wir tun? Ich für mich, und wir für die Gesellschaft?
Das Alter ist eine Tatsache, die man nicht leugnen kann. Was man aber steuern kann, ist die Sichtweise. Verbindet man das Altwerden mit Einsamkeit, Pflegebedürftigkeit oder Mittellosigkeit, dann wird man jedem Wiegenfest mit Angst und Panik entgegensehen. Blickt man dagegen positiv in die Zukunft, eröffnen sich neue Chancen und Perspektiven, die man, vielleicht aufgrund dieser Angst, nicht sehen konnte.
Um auch im Alter am Leben teilzunehmen, ist besonders Mobilität gefragt: Nicht nur körperliche Beweglichkeit, sondern auch geistige Agilität. Einer meiner Freunde beschwert sich oft, wie schwierig es für ihn ist, seine über 80-jährigen Eltern zu treffen. Er braucht mindestens zwei Wochen Vorlauf, um einen Besuchstermin mit ihnen zu vereinbaren: Sie gehen tanzen, treffen Freunde, gehen Essen, die Mutter macht Gymnastik, der Vater spielt Karten mit Kumpels, sie machen Tagesausflüge oder Verreisen. Sie sind ständig so beschäftigt, dass sie kaum Zeit für den einzigen Sohn haben.
Eigentlich beginnt das biologische Altern des Körpers bereits im frühen Erwachsenenalter. Da meint man doch, man hätte genug Zeit zu akzeptieren, dass sich der Körper permanent verändert. Dass es wichtig ist, den Körper fit zu halten, muss man heute niemandem mehr erklären: Sportliche Aktivitäten, gesunde Ernährung und ausreichend Entspannung werden für jedes Alter als sinnvoll angesehen.
Am wichtigsten aber ist zu begreifen, dass sich Ausstrahlung und Charisma nicht über straffe und jugendliche Haut oder ein faltenfreies Gesicht definieren. Wie stark sich Schönheitsideale und das Gefühl für den eigenen Körper verändert haben, wird in unserer Kultur täglich sichtbar. Auch Liebe, Erotik oder Sex sind lange keine Tabus im Alter mehr.
Vielen Menschen macht das geistige Altern Angst. Paradoxerweise bewirkt allein das permanente Nachdenken über ein mögliches Handicap, dass sich der Alterungsprozess beschleunigt. Es ist eine Tatsache, dass die grauen Zellen mit der Zeit abbauen und Gedächtnis und Lernfähigkeit nachlassen. Durch Förderung der geistigen Fitness lassen sich diese nachlassenden Kräfte jedoch kompensieren. Positiv wirken sich auch erworbenes Wissen, Lebenserfahrung und Geduld aus.
Wie geht man aber mit dem sozialen Aspekt des Alterns um? Der Verlust des beruflichen Umfelds und die Einschränkung von sozialen Kontakten führt dazu, dass viele Menschen schneller sozial altern. Hier sind Maßnahmen gefragt, durch die ältere Menschen aktiv und gesund bleiben. Die Produktivität und Kreativität der älteren Generation sollte geschätzt und gebraucht werden und Anerkennung erfahren. Wie wichtig das Thema der sozialen Vereinsamung, Isolation und Anonymität ist, zeigen Großbritannien und Japan, wo seit einiger Zeit eigenständige Ministerien für Einsamkeit Pionierarbeit leisten. Wie steht es damit in Deutschland?
Meine größten Bedenken sind mit Armut im Alter verbunden. Ich weiß, dass meine zukünftige Rente nicht ausreichen wird. Ich muss also selber nach Möglichkeiten suchen, der Mittellosigkeit zu entkommen. Ich hoffe, dass ich körperlich und geistig noch lange fit bleibe, um zusätzliches Einkommen aus eigener Kraft erwirtschaften zu können. Dass ich das bis heute geschafft habe, gibt mir auch Zuversicht für die Zukunft.
Jeder will alt werden, aber niemand will alt sein. Das Altwerden ist für viele Menschen mit vielen Ängsten verbunden. Für mich ist Angst eine normale Reaktion auf Gefahr, Ungewissheit oder Risiko. So will ich aber mein Leben im Alter nicht sehen. Leben heißt für mich Erleben: Immer wieder Neues ausprobieren, etwas wagen, stets neugierig bleiben. Dann macht mir das keine Angst.
Die einzige Alternative zum alt werden, ist jung zu sterben. Da mir diese Alternative entgangen ist und ich keine Angst vorm Altwerden habe, stellt sich nur die Frage: Was mache ich also mit all dieser Zukunft bis ich 100 Jahre alt werde? Und was macht ihr so?

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Piotr

    Danke für Deine Resonanz! Ich bin mir sicher, das Schicksal meint es gut mit uns. Auch wenn wir die Zukunft nicht voraussagen können… Gruß, Piotr

  2. Cordula

    Hallo, Danke für das Thema, Anregungen dazu. Ich möchte gerne Einiges dazu schreiben, kann aber trotz Lesebrille die hellgraue Schrift kaum sehen, auch wenn es apart aussieht. Hoffe auf zwei Ereignisse. 1. Gleichgesinnte zu finden um ein Gebäude zu finden, wo man selbst verwaltet, in getrennten Wohnungen usw. mit gegenseitiger Hilfe und trotzdem autonom leben kann, oder sein kann. 2. Aufgaben zu finden, die Freude machen und man auch noch etwas verdienen kann. Ossi’s hatten eine andere Finanzplanung. Insofern sind die Wünsche ähnlich. Ich lebe in Zentralasien, Deutschland und den USA. Deutschland ist meine Heimat, macht mir aber die meiste Angst……
    Es gäbe noch mehr zu äußern, aber, sorry, sehe kaum was.

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