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BIO-ZITRONE

Der neue Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir, äußerte sich in seiner Regierungserklärung zu der aktuellen Preisdebatte um Lebensmittel. Er betonte, es gehe darum, dass alle hochwertige und gleichzeitig bezahlbare Lebensmittel bekommen. Wie und wann das geschieht, darüber wurde keine genaue Angabe gemacht.
Selbstverständlich möchte auch ich nur gesunde Bio-Lebensmittel einkaufen. In meinem Supermarkt gibt es Bio-Zitronen für 89 Cent pro Stück. Direkt daneben werden auch „normale“ Zitronen angeboten: Vier Stück zum gleichen Preis. Die Bio-Zitrone ist also viermal teurer. Ich habe die Wahl.
Ich bin mir sicher, nicht der Erste zu sein, der sich dabei fragte: Soll ich für den gleichen Preis nur eine Bio-Zitrone oder vier „normale“ Zitronen nehmen und ist Bio auch nachhaltig? Natürlich kenne ich Bio-Siegel und ich verstehe, was mit der Kennzeichnung gemeint ist. Trotzdem ist die Entscheidung nicht ganz leicht, da oft die Kennzeichnung nicht transparent begründet ist.
Erstens kann ich doch davon ausgehen, dass auch die konventionellen Lebensmittel einer staatlichen Prozesskontrolle unterliegen und man die „normalen“ Zitronen mit gutem Gewissen kaufen und verzehren kann. Was der Verbraucher letztlich im Supermarkt wählt, darauf üben Lebensmittelindustrie und Handel einen erheblichen Einfluss aus. Welche Interessen dabei verfolgt werden, darüber lässt sich spekulieren.
Dass die Preisgestaltung für Lebensmittel, insbesondere für Bio-Produkte intransparent und unkontrolliert ist, sorgt für Verwirrung. Neben den reinen Produktionskosten, ist die Klimabilanz von Lebensmitteln von sehr vielen Faktoren, wie Energiebedarf oder CO2-Emissionen abhängig. Diese negativen Umweltauswirkungen werden in Euro umgerechnet und auf die Preise aufgeschlagen. Wie genau eine solche Berechnung aussieht, das weiß wahrscheinlich nicht mal der Landwirtschaftsminister selbst. Da es für Lebensmittelindustrie und Handel grundsätzlich um Umsatz und Gewinn geht, spielen auch Interessensgruppen, Agrar-Lobbyismus und Subventionen eine wichtige Rolle.
Um ein Bio-Siegel zu bekommen, müssen die angebauten Lebensmittel verschiedene Auflagen erfüllen, die von der EU definiert wurden. Dass diese Auflagen in der deutschen und der EU-Landwirtschaft vor Ort kontrolliert werden können, scheint mir plausibel. Da aber die Bio-Bauern in Europa die Nachfrage kaum befriedigen können, müssen viele der Produkte aus Nicht-EU-Ländern importiert werden. In Indien, China, Afrika oder Südamerika sind ähnliche Kontrollen gar nicht machbar. ­­Das macht Betrügern die Arbeit leicht.
Spricht man von Bio-Produkten, bedeutet das, dass sie biologisch angebaut wurden. Es wird unter anderem auf mineralische Düngemittel und chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel verzichtet. So weit, so gut und gesund. Ist jedoch eine Zitrone, die mehrere Tausend Kilometer nach Deutschland transportiert wurde und in Plastikboxen verpackt ist, noch nachhaltig? Die gleiche Frage stellt sich natürlich bei vielen Bio-Produkten, die nicht regional produziert werden: Tomaten, Kartoffeln, Gurken, Karotten.
Generell sehe ich die Einhaltung von Umwelt- und Menschenrechten in Lieferketten im globalen Handel problematisch. Lebensmittel werden quer durch die ganze Welt transportiert, um die jeweils günstigsten Produktionsbedingungen mitzunehmen. Oft bleibt kaum ein Gewinn beim Erzeuger. Nachhaltig und zukunftsfähig ist das nicht.
Viele Verbraucher glauben, dass die Bio-Waren von Kleinbauern auf einem naturbelassenen Feld angebaut werden. Wir kennen alle die Bilder aus der Werbung, wenn der Naturbursche über seine Felder wandert und sich seine Ernte im Morgenlicht wiegt. Diese idyllische Vorstellung von Landwirtschaft kann aber den Bedarf an Bio-Produkten heutzutage nicht decken. Also werden auch Bio-Lebensmittel industriell produziert. In Großbetrieben, die oft eine konventionelle Parallelproduktion betreiben. Da die Felder oft direkt nebeneinander liegen, sickern und verteilen sich auch Pestizide aus dem konventionellen Anbau weitflächig.
Auch die Bio-Produktion braucht Wasser, Licht und Wärme. Die Plantagen sind von Bewässerungsanlagen durchzogen und Gewächshäuser werden mit Plastik abgedeckt. Für den Anbau von Bio-Waren trocknen ganze Regionen in Spanien oder Italien aus. Nur in Gewächshäusern können die vom Handel geforderten Qualitätsstandards an Form, Farbe oder Geschmack herangezogen werden.
Ohne Pflanzenschutzmittel sind Bio-Plantagen arbeitsintensiv, da die Felder per Hand gejätet werden müssen. Meistens sind es die Saisonarbeiter, die für Dumpinglöhne schuften und gleichzeitig auf dem Betriebsgelände leben und arbeiten. Meist gibt es keine Sozialleistungen, keinen Arbeits- und Gesundheitsschutz.
Bio-Siegel sind zum Synonym für gesundes und bewusstes Essen geworden. Gewiss ist die geringe chemische Belastung der Bio-Produkte unbestritten. Dass jedoch auch die Rahmenbedingungen der Bio-Industrie nachhaltig und ressourcenschonend sind, bezweifle ich.
Für mich stellt sich damit nicht die Frage, welche Kriterien ein gutes Lebensmittel erfüllen muss. Ich finde es wichtiger, dass es aus regionalem Anbau kommt und damit meine Nachhaltigkeitskriterien erfüllt. Da aber Südfrüchte in Deutschland nicht wachsen, ist die Entscheidung bei Bio-Zitronen schwierig.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Piotr

    Danke! Bio bedeutet nicht gleich nachhaltig… Gruß, Piotr

  2. Aurelia

    Moin. da bin ich ganz bei dir. Es ist vieles einfach nicht transparent und es wird viel schmuh betrieben. Die Preise kann man sich mit schmalem Einkommen kaum leisten. Ich schaue auch lieber auf regional, als dass ich Bio aus weit entfernten Ländern kaufe. Lg Aurelia

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