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GLAUBE

Die bevorstehende Konfirmation meiner Nichte lässt mich über meine Einstellung zum christlichen Glauben nachdenken. Wie stehe ich persönlich zur Glaubensfrage? Und stimmt es, dass Glaube im Alter an Bedeutung gewinnt?
Mit der Taufe und meiner christlichen Erziehung haben meine Eltern ihr Bestes getan, um mich auf das Leben vorzubereiten, sie wollten mir alle Tugenden der christlichen Gebote vermitteln. Im Alter von 15 Jahren bin ich, als Angehöriger einer kleinen evangelisch-lutherischen Minderheit in Polen, konfirmiert worden. Damals habe ich mich bewusst für den christlichen Glauben und meine Kirchenzugehörigkeit entschieden. Das Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl dieser Minderheit hat meinen Glauben geprägt und gestärkt.
Ich war stolz auf meine Religion und vieles darin sah ich als vorteilhaft und praktikabel an. So fand zum Beispiel die Beichte bei uns bei einem gemeinsamen Gebet während des Gottesdienst statt. Meine katholischen Freunde dagegen mussten zur Einzelbeichte. Ihre auswendig gelernten Sündenlisten aufzählen und Buße tun. Zu meinem evangelischen Pastor und Seelsorger hatte ich Vertrauen, da er eine eigene Familie hatte und damit auch Erfahrung im „echten“ Leben besaß. Mir schien es unlogisch, dass man sich von einem im Zölibat lebenden katholischen Priester zum Thema Familienprobleme beraten lassen sollte.
Damals habe ich mich nicht getraut, grundlegende Fragen zu stellen: Wer ist Gott? Und: Existiert er wirklich? Gott war eine Tatsache, die durch den tiefen und überzeugenden Glauben meiner Eltern untermauert wurde.
Eigentlich war es eine Strapaze, als kleines Kind noch im Dunkeln vier Kilometer durch tiefen Schnee stapfen zu müssen, um morgens fünf Uhr den Weihnachtsgottesdienst erleben zu dürfen. Doch beim Verlassen der Kirche, zu den imposanten Klängen der Orgelmusik, stieg gerade die Sonne am Horizont auf. Die Welt glitzerte schneeweiß und friedlich. Zuhause wartete schon ein festliches, üppiges und wärmendes Frühstück. Dieser Morgen machte mich sicher: Es muss einen Gott geben, der das so wundervoll arrangiert hat.
Heute verstehe ich Glaube eher im Sinne einer wechselseitigen Beziehung zum Schöpfer. Sie ist für mich sehr persönlich und vertraulich. Und wie das Leben selbst, durchläuft diese Beziehung unterschiedliche Phasen. Mein bewusstes Ja bei der Konfirmation, die Hingabe und mein Gottvertrauen fand ich als Jugendlicher faszinierend und nachvollziehbar.
Mit dem Erwachsenwerden kamen Ernüchterung und Pragmatismus. Das Leben ist wesentlich härter geworden und es gibt viele Höhen und Tiefen. Manche Fragen werden neu gestellt und bewertet: Was erwartet Gott von mir und was erwarte ich von ihm? Zahlt sich Beharrlichkeit im Leben aus? Auch Zweifel, ja sogar Ablehnung, haben mich schon gequält. Und ich habe erfahren müssen, dass die Welt nicht nur aus meinem „Universum“ besteht. Ist also mein Glaube das Wahre oder gibt es vielleicht noch andere Götter, Göttinnen oder Gottheiten?
Glauben bedeutet für mich, nach dem Sinn des Lebens zu suchen. Zugleich werden damit Wünsche transportiert: Glück, Seligkeit, Vollkommenheit. Da für mich der Mensch unvollkommen ist, müsste ich der These des Religionskritikers Ludwig Feuerbach (1804-1872) zustimmen: „Der Mensch muss erkennen, dass Gott lediglich eine Projektion seiner unerfüllten Wünsche, Bedürfnisse und positiven Eigenschaften ist“ (Quelle: School-Scout.de, Die Religionskritik von Ludwig Feuerbach, S.7). Also existiert Gott nur in meinen Gedanken?
Die Frage, ob es Gott gibt, ist für mich jedoch irrelevant. Ich möchte seine Existenz weder beweisen, noch widerlegen. Wichtiger ist für mich der Glaube, der mir hilft, das Leben zu gestalten und Kraft zu schöpfen. Vielleicht werde ich ihn im Alter öfter brauchen.
Meinen Glaube unterscheide ich aber bewusst von der Kirche. Gerne behalte ich meine kleine polnische Gemeinde positiv in Erinnerung. Hier galten fundamentale Werte: Zusammenhalt, Hilfsbereitschaft, Akzeptanz, Nächstenliebe aber auch Feindesliebe. Tatsache ist aber, dass heute die konfessionelle Gemeinschaft der Kirche auch bei mir an Einfluss verliert.
Glaube und moderne Gesellschaft schließen sich nicht aus. Brauchen wir aber solch eine Institution? Gerade die katholische Kirche, die sich weigert, Verbrechen und Verfehlungen aus der Vergangenheit einzugestehen und aufzudecken, scheint doch in vielerlei Hinsicht kein gutes Vorbild. Wie steht es um die Macht und Privilegien der Bischöfe und Priester, die sich jeglicher weltlichen Kontrolle entziehen? Das kann ich nicht gutheißen oder wertschätzen. Mit diesem Wissen schwindet auch mein Glaube. Ich bin mir sicher: Mein Gott hätte so eine Kirche nicht gewollt. Kirche, quo vadis?

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Piotr

    Das Gute im Menschen ist doch eine Stärke! Herzlichen Dank für Dein Feedback. Gruß, Piotr

  2. Renate Blaes

    An Religion und Glauben habe ich sehr schlechte Erinnerungen. Ich wurde neuapostolisch „erzogen“ und damals gab es einen Stammapostel (wie der Papst bei den Katholiken), der angeblich so lange lebt, bis „das große Verderben“ über die Menschheit hereinbricht. Ich war ein kleines Mädchen und lebte in einem stockkatholischen Dorf in Südbaden – und erzählte die wilde Geschichte vom nichtsterbenden Stammapostel, was mir nicht unbedingt Freunde beschert hat. Als ich 12 war, ist der Mann gestorben! Das war das Ende meines neuapostolischen Glaubens (für mich). Ich bin also nicht mehr religiös, denke aber, dass ich ein „besserer“ Mensch bin als viele Menschen, die ständig in die Kirche rennen. Ich helfe alten Damen bei Glatteis über die Straße und ich rette Wespen und Spinnen, die sich in meiner Küche verirrt haben, indem ich sie mit einem Handtuch fange und auf der Terasse in die Freiheit entlasse. Ich entschuldige mich bei meinem Kater, wenn ich ihn unabsichtlich erschreckt habe und bemühe mich, den Ansprüchen, die ich an andere stelle, selbst gerecht zu werden. Nicht immer einfach … aber gelingt zunehmend besser.

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