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GLÜCKSZÄHNE

Auch wenn ich so langsam auf die Sechzig zugehe, meine Zähne sind recht gesund. Sie sind nicht perfekt und einige haben Kronen oder Füllungen. Im Vertrauen, es gibt auch noch eine auffällige Lücke zwischen meinen mittleren Schneidezähnen. In Frankreich nennt man sie liebevoll „les dents du bonheur“, das heißt „die Glückszähne“.
Oft habe ich mich als Kind für diese Zahnlücke geschämt. In der medizinischen Fachsprache als „Diastema mediale“ bekannt (www.wikipedia.de), war sie für mich lange ein ästhetischer Makel, der sich im Alltag nur schwer verbergen lässt. Als Erwachsener habe ich erfahren, dass sie in manchen Kulturen als etwas positives betrachtet wird, sie wird mit Wohlstand und Glück in Verbindung gebracht.
Heute betrachte ich sie halt als Merkmal meiner Individualität. Selbst in Showbiz gibt es einige Promis mit solch einer „sexy“ Zahnlücke: Madonna, Vanessa Paradis, Elijah Wood und Seal.
Ohne Zweifel ist sowas heute leicht zu beheben, dank des enormen Fortschritts der Zahnmedizin. Moderne Röntgengeräte, Laser und Computer ermöglichen bessere Diagnosen und Behandlungen. Zu erklären ist dieser Fortschritt nicht nur aus der Sicht von Gesundheit und Hygiene. Es spielen auch andere Faktoren, wie Schönheitsideale und Körperkult eine entscheidende Rolle. Nicht umsonst sagt man, dass strahlendes, gesundes Lächeln meist mehr als tausend Worte sagt. Manche behaupten sogar: „Meine Zähne sind meine Visitenkarte.“
Verstärkt durch Medien und Werbung boomt der Beauty-Trend für weiße Zähne. Mehr oder weniger erfolgreiche aber oft auch gesundheitsschädliche Whitening-Behandlungen sind zum am häufigsten geäußerten Wunsch an die zahnmedizinische Ästhetik geworden. Je weißer, desto besser, ist für viele die Devise. Für Bleaching oder Veneers werden heutzutage keine Kosten und Mühen gescheut.
Zahnschmerzen und Zahnverlust waren ein ständiger Begleiter der Menschheit. Lange diente die allgemeine Zahnheilkunde der Schmerzlinderung oder der provisorischen Wiederherstellung der Zahnfunktionen. Mit Erschrecken liest man über Barbiere, die im Mittelalter schmerzenden Zähnen mit Zangen ohne Betäubung zu Leibe rückten. Obwohl die Methoden im Laufe der Jahrhunderte innovativer wurden, blieben die Ursachen, vor allem Karies und entzündliche Krankheiten wie Parodontitis, noch lange weitgehend unerforscht.
Als Kind litt auch ich unter Karies, damals die Zivilisationskrankheit schlechthin. Fehlende Zahnpflege und schlechte Ernährung waren meistens die Ursache. Erst mit der Zahnprophylaxe ist es gelungen, dass Karies und Parodontitis in unserer Gesellschaft auf dem Rückzug sind. Da die richtige Zahnpflege schon im Kindesalter beginnt, sollte die regelmäßige Vorsorge schon in diesem Alter beginnen. Zahnärzte, die sich auf die Behandlung der jüngsten Patientengruppe spezialisiert haben, waren lange unvorstellbar.
Bei der Generation meiner Eltern, die in meinem Alter schon auf dritte Zähne angewiesen waren, war das Ersatz-Gebiss die gängigste Methode, um fehlende Zähne zu ersetzen oder Zahndefekte auszugleichen. Häufig war das Tragen von Zahnersatz mit Druckstellen und Schmerzen verbunden. Erfreulicherweise ist die Ansicht, dass jeder ältere Mensch irgendwann zahnlos wird, nicht mehr aktuell. Mit umfassender Prophylaxe und richtiger Mundhygiene ist die Lebenserwartung der Zähne erheblich gestiegen.
Um jemanden ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, müssen die Zähne aber gar nicht strahlend weiß sein. Sie müssen auch nicht perfekt gerade und rechteckig geformt sein. Die Gesundheit im Mundraum zeichnet sich durch viele andere Kriterien aus. Mit gesundem Zahnfleisch, sauberen Zahnzwischenräumen und wenig Verfärbungen lassen sich die Zähne auch bis ins hohe Alter erhalten.
Wirkungsvolle und nachhaltige Mundhygiene bedarf keiner teuren Produkte oder Behandlungen. Bevor man ein fragwürdiges Bleaching ausprobiert, sollte man darüber nachdenken, welche Nebenwirkungen oder Schäden es verursachen könnte. Klar ist es vorteilhaft, mit strahlenden Zähnen zu lächeln. Doch wichtiger ist es, dass sie gesund und funktionsfähig sind.
Wie lange meine echten Zähne erhalten bleiben, weiß ich natürlich nicht. Vielleicht werden es eines Tages künstliche Zähne aus einem 3D-Drucker, bionische Zähne als Implantate oder einfach doch das gute alte Gebiss sein. Heute bin ich mir sicher, dass ich meine Zahnlücke, für die ich mich als Kind oft geschämt habe, nie loswerden möchte. Meine „Glückszähne“ gehören einfach zu mir.

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