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METROPOLE

Wie wunderschön London ist, habe ich oft bewundert, wenn ich bei Sonnenuntergang in Kensington Gardens und im Hyde Park gejoggt bin: Von Kensington Palace, vorbei am Albert Memorial bis hin zur Princess Diana Memorial Fountain, manchmal sogar bis zur Speakers‘ Corner und zurück. Und das lag alles gleich um die Ecke, da ich damals in der Nähe von Queensway im Stadtteil Bayswater gewohnt habe.
London zählte schon immer zu meinen Lieblingsstädten. Geschichte, Kultur, Traditionen, Kunst, Sehenswürdigkeiten wunderbar vereint an einem einzigen Ort. Und beruflich habe ich dort auch wichtige Erfahrungen gemacht. Aber was ist eigentlich das Faszinierende an dieser Stadt und was zeichnet sie als Metropole aus?
Prachtvolle Schlösser und Paläste, viktorianische Pubs, bunte Back-to-Back Houses wechseln sich mit hypermodernen Wolkenkratzern und zeitgenössischer Architektur ab: In der Stadt an der Themse mischen sich Tradition und das Konservative mit extravaganter Modernität. Das Stadtbild von West London prägen seine vornehmen und teuren Wohnviertel: Notting Hill, Marylebone und Chelsea. Die spannende Verbindung zwischen Alt und Neu wird deutlich im Londoner Osten. Anlässlich der Olympischen Spiele 2012 wurde diese ehemals heruntergekommene und vernachlässigte Gegend einer innovativen Transformation unterzogen: Aus Tower Hamlets, Hoxton und Shoreditch sind mittlerweile die angesagtesten Wohn- und Ausgehviertel geworden. Hier treffen sich die Banker und Börsianer aus der City zum Business-Lunch und Touristen suchen in den Hinterhöfen nach Spuren des Serienkillers Jack the Ripper.
Trotz einer bunten Mischung von Nationalitäten und des unglaublichen Gedränges auf Straßen und Plätzen gehören Rücksichtnahme und Respekt zum Alltag der Stadt an der Themse. Obwohl die Größe mit fast 9 Millionen Einwohnern und 33 Stadtbezirken (inklusive der City of London) auf viele eher abschreckend als anziehend wirkt. Trotz all dem, kann man beim Joggen im Hyde Park noch das Alleinsein und die Morgenstille genießen. Später in der Tube, während der Rushhour, kann davon gewiss keine Rede mehr sein. Große Menschenmengen schieben sich durch die schmalen Durchgänge und über Rolltreppen. Dennoch bleibt die Stimmung entspannt und gelassen, man ist rücksichtsvoll und aufmerksam.
London steht für Vielfalt und Diversität. Diese Toleranz hat hier eine lange Tradition, die vor allem mit der langen Kolonialgeschichte Großbritanniens zusammenhängt. Indien, Pakistan, Bangladesch, China, Afrika, Karibik: Der Schmelztiegel London vereint Menschen aus der gesamten Welt. Multikulturelles Leben ist Selbstverständlichkeit und fast alle halten sich an die Regeln für ein friedliches und tolerantes Miteinander. Nur selten tauchen Hass und Feindseligkeit als Problemthemen auf.
Als „Very British“ zeigt sich die Stadt in ihrer Selbstverliebtheit und Unabhängigkeit. Vor allem der Brexit hat deutlich bewiesen, wie eigenwillig und selbstbezogen das britische Volk sein kann. Mag sein, dass London die britische Mentalität nicht in Gänze widerspiegelt.
Das Ansehen der Stadt als Metropole macht momentan eher in negativer Hinsicht von sich reden. Die Londoner City kämpft gegen den Exodus europäischer Geldhäuser und Unternehmen. Die Stadt verliert ihre Connections zu Kontinentaleuropa, nicht nur wirtschaftlich, sondern vor allem auch in kultureller Hinsicht. Viele britische Künstler beklagen, dass sie als Nicht-EU-Bürger ein Arbeitsvisum für jedes einzelnen EU-Land benötigen. Dadurch werden Konzerte, Gastspiele und Tourneen im Ausland deutlich teurer und komplizierter.
Ihre überragende politische Bedeutung wird die Stadt dadurch wahrscheinlich nicht verlieren. Da sie aber Europa den Rücken kehrt, bleiben das Image und die Werte der Stadt nachhaltig geschädigt und angegriffen. Kann London eine Weltmetropole sein, die keine europäische Metropole sein möchte? Oder ist London eher Freund Europas als die Brexit-Anhänger uns glauben machen wollen?

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