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TUTORIALS

Kürzlich habe ich sie als Moderatorin des ESC 2021 in Rotterdam das erste Mal gesehen: Nikkie Tutorials. Und sie hat mich umgehend entzückt. Mit 1,90 m fiel sie nicht nur durch ihre Größe auf, sondern vor allem durch ihre grandiose Robe und ihr perfektes Styling. Mit bürgerlichem Namen heißt sie Nikkie de Jager, und sie ist eine der einflussreichsten Kosmetik-Influencer*innen der Welt. Allein ihr YouTube-Kanal hat beachtliche 13,8 Mio. Abonnenten und bei Instagram folgen ihr „nur“ 14,6 Mio. Beauty-Interessierte.
Auf der Bühne in Rotterdam demonstrierte sie mit ihrem makellosen Make-up und einem außergewöhnlichen Dekolleté-Contouring ihre Kompetenz. Dass diese Kompetenz mit Begeisterung und Leidenschaft für das Weibliche zu tun hat, hat sie in einem ihrer frühen, bewegenden und empowernden YouTube-Videos verkündet: „Ich wurde im falschen Körper geboren, was bedeutet: Ich bin Transgender“. Mit ihrem mutigen und befreienden Coming Out hat sie bewiesen, dass zeitgenössische Schönheitsideale keinen festen gesellschaftlichen Vorgaben mehr folgen müssen und damit Herkunft, Hautfarbe oder Geschlecht nur noch beschreibende Kategorien sind. Was für ein fabelhafter Background für so erfolgreiche Beauty-Artistin.
Da ihre Karriere auf Social Media so beachtlich ist, habe ich mich nach Gründen gefragt: Was genau verbirgt sich hinter dem Phänomen solcher Influencer*innen? Sind sie einfach nur etwas exhibitionistisch veranlagte Selbstdarsteller oder steckt dahinter eine mit Kalkül überlegte Idee? Im Grunde genommen machen Influencer*innen nichts anderes, als für Produkte zu werben. Diese Strategie der Werbeindustrie ist nicht neu. Mund-zu-Mund-Propaganda gibt es schon lange. Das kennen wir von Avon-, Tupperware- oder Vorwerk-Berater*innen. Auch Millionen von Senioren*innen nehmen an Kaffeefahrten teil, die ähnlich ablaufen. Dass also diese „Einflussnehmer aus dem Internet“ allgegenwärtig und wirkungsreich sind, ist vielschichtig und multivalent.
Unbestritten liegt der Erfolg der Influencer*innen an der Stärke und Funktionsweise der sozialen Kanäle: breite Vielfalt, hohe Medienreichweite, kostengünstiger Einsatz. Aber, allein präsent zu sein, reicht nicht. Es bedarf einer großen Community an Followern und Abonnenten. Durch geschickte Selbstinszenierung und das Erwecken von Glaubwürdigkeit und Vertrauen, erreichen die Influencer*innen eine ziemlich starke Identitätsbindung. Gleichzeitig ermöglichen sie auch mehr oder weniger Interaktionen der Follower: Likes, Kommentare, Teilen. Damit wecken sie Begehrlichkeiten und beeinflussen Kaufentscheidungen erheblich. Und das zur Freude einer verkaufshungrigen Industrie. Dass dahinter oft harte Bedingungen, regulatorische Anforderungen und raffiniert ausgeklügelte Verträge stecken, ist kaum einem Follower bewusst.
Genau in diesem Zusammenhang bewundere ich Nikkie Tutorials, glamouröser Star auf den Social Media-Bildern und auf der Bühne. Im wirklichen Leben ist sie eine kluge selbständige Unternehmerin, die kommerziell für Kosmetikprodukte wirbt. Dass sie dabei einen hohen Selbstdarstellungswert besitzt, kann man gutheißen oder billigen. Als Beobachter bleibe ich ohne Frage ihr Instagram-Follower. Aber ich erachte es nicht als notwendig, mich ihrer Community aktiv anzuschließen. Zum einen sind die Kosmetikprodukte und -tipps größtenteils ungeeignet für mich. Und zum anderen ist mir meine eigene, unabhängige Identität sehr wichtig.

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